Das Leitthema der diesjährigen WTW bAV-Konferenz, “Altersvorsorge in Bewegung”, beleuchtet prägnant die aktuellen Herausforderungen. Unternehmen, Dienstleister, die Politik und vor allem auch die Arbeitnehmer stehen vor bedeutenden Fragestellungen, Chancen und Risiken. Diese wurden auf der WTW-Konferenz am 01.10.2024 in Frankfurt intensiv diskutiert und durch spannende Vorträge detailliert behandelt.
Wir haben den Moderatoren der Konferenz Hanne Borst und Nikolaus Schmidt-Narischkin fünf Fragen rund um die Ergebnisse der Diskussionen gestellt:
1. BRSGII haben wir in diesem Jahr gesehen, der brandneue Gesetzesentwurf der „Toncar-Rente“ wurde auf der Konferenz bereits thematisiert und Sozialpartnermodelle diskutiert. Unter der Prämisse „What is in it for you“ – wie schätzen Sie in der anstehenden Diskussion die Entwicklung und die Zukunftsfähigkeit der bAV ein?
Die gesetzliche Rentenversicherung nimmt immer mehr die Rolle einer Basisversorgung ein. Um den Lebensstandard im Alter zu sichern, gewinnt die bAV zunehmend an Bedeutung. Bislang ist die bAV gerade bei kleinen und mittleren Unternehmen, sowie bei Geringverdienern noch nicht ausreichend verbreitet. Das BRSG II hat das Ziel, den Verbreitungsgrad der bAV deutlich zu erhöhen. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf dem Sozialpartnermodell. Das tarifvertragliche „Einschlägigkeitserfordernis“ wurde deshalb deutlich modifiziert. So sollen Tarifverträge ermöglicht werden, die es (branchen-)fremden Unternehmen erlauben, per Tarifvertrag bei einem bestehenden Sozialpartnermodell mitzumachen, wenn die dort verantwortlichen Tarifvertragsparteien zustimmen. Dies soll es vor allem ermöglichen, ein Sozialpartnermodell jeweils im Rahmen der gesamten Zuständigkeit des Organisationsbereichs einer Gewerkschaft nutzen zu können, die oft mehrere Branchen umfassen, wenn es bislang nur in einer Branche ein Sozialpartnermodell gibt.
Zudem wurde die Förderung für Geringverdiener gemäß § 100c EStG erhöht und eine Dynamisierung der Gehaltsgrenzen eingeführt. Damit wird ein wichtiger Impuls für die weitere Verbreitung der bAV gesetzt. Diese Regelung soll bereits ab 1.1.2025 gelten, obwohl das BRSG II zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Kraft sein wird. Dies ist sehr lobenswert!
Schade ist, dass die Möglichkeiten des betrieblichen Opting-outs auf Unternehmen in tariflosen Bereichen begrenzt wurde. In anderen Ländern wie Großbritannien und Dänemark sehen wir, dass die automatische Inklusion in ein System der bAV mit der Option, dieser aktiv widersprechen zu können, ein wichtiger Hebel für die Verbreitung der bAV ist.
Ob sich der Verbreitungsgrad der bAV durch das BRSG II erhöhen wird, bleibt abzuwarten. Der Regierungsentwurf enthält jedenfalls neue Evaluierungsvorschriften mit Androhung eines Obligatoriums, wenn keine „erkennbare“ Steigerung der Verbreitung der bAV eingetreten ist.
2. Wie ein „roter Faden“ zog sich die Forderung nach „Financial Education“ durch die Konferenz. Warum ist diese so wichtig und welche Möglichkeiten haben Unternehmen & Berater hier zu unterstützen?
Internationale Konflikte, Kriege, herausfordernde ökonomische Rahmenbedingungen und der Klimawandel verunsichern Mitarbeitende. Studien von WTW belegen, dass immer mehr Beschäftigte keinerlei oder nur wenig Möglichkeiten haben, finanzielle Rücklagen zu bilden. Diese Personen sind deshalb häufiger von chronischer Anspannung und Burnout betroffen als Mitarbeitende, die für den Notfall sparen können.
Entsprechend steht die bAV branchenübergreifend und unabhängig von Generation, Geschlecht und Einkommensverhältnissen ganz oben auf der Wunschliste von Mitarbeitenden, wenn es um finanzielle Resilienz geht. Tatsächlich kann sie in diesem Kontext einen wichtigen Beitrag leisten.
Durch eine Verbesserung der finanziellen Allgemeinbildung kann erreicht werden, dass Mitarbeitende ihre persönliche Versorgungssituation besser einschätzen können. So helfen Versorgungslückenrechner dabei, die Versorgungssituation im Alter realistisch einschätzen zu können. Immer mehr Unternehmen bieten solche Services im Rahmen von digitalen Zugangskanälen, s.g. Mitarbeiterportalen an. Weil sich nur so Handlungsoptionen wirklich sinnvoll aufzeigen lassen, spricht vieles dafür, die Möglichkeit des Erkenntnisgewinns digital zu gestalten: Welche steuerlichen Vorteile sind mit der Entgeltumwandlung verbunden, wie lässt sich die Nutzung des Arbeitgeberzuschusses optimieren? Weshalb lohnt es sich, frühzeitig mit dem Alterssparen zu beginnen?
3. Sehr interessant war der Fokus auf kollektive Puffer in der bAV, wohin geht die Reise Ihrer Meinung nach?
Die reine Beitragszusage und somit ein Verzicht auf Garantien wurde erst mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz und der Einführung des Sozialpartnermodells möglich. Damit einher ging auch eine intensivere Betrachtung von sog. Puffermodellen.
Das Grundprinzip aller kollektiven Puffermodelle besteht in der Entkopplung der tatsächlichen Kapitalanlage von durationsabhängigen Spezifika des Bestands (Anwartschafts- vs. Rentenphase oder auch die Alterung des Bestands in der Anwartschaftsphase). Ziel ist immer die Nutzung eines möglichst langen, gern auch über den Beginn des Auszahlungszeitraumes hinausgehenden und somit glättenden Anlagehorizonts, der höhere Renditen bei vergleichbarem Risiko verspricht.
Die Entwicklung des in der reinen Beitragszusagen gelebten Prinzips der kollektiven Kapitalanlage mit ihren aus den Erträgen der Kapitalanlage gebildeten Risikopuffern gibt auch den traditionellen Direktzusagen neue Gestaltungsimpulse.
Besonders herausfordernde Kapitalmarktsituationen wie die im Jahr 2022 konnten sich dort insbesondere für rentennahe Jahrgänge als nachteilig erweisen, weil die Allokation unterschiedlicher Anlageklassen im Kontext selbst modernster Kapitalkontenpläne individualisiert und abhängig vom Alter der Begünstigten vorgenommen wird (sog. Life- Cycle-Modelle). Bedingt durch den für ältere Planteilnehmer künstlich verkürzten Anlagehorizont und die hieraus resultierende Übergewichtung zinstragender Titel fielen die Abschläge in 2022 nicht nur hoch aus, sondern sie konnten und können für diesen Personenkreis auch nicht mehr aufgeholt werden. Die im Kontext des Sozialpartnermodells gelebte Ausrichtung der Kapitalanlage am zeitlichen Anlagehorizont des Kollektivs und weniger des Individuums würde diesen Kapitalmarktschwankungen besser begegnen.
Insgesamt erscheint somit der Gestaltungsspielraum für Direktzusagen auch außerhalb des Sozialpartnermodells aktuell so groß wie selten zuvor.
4. Der wirtschaftliche Ausblick zeigt, dass die Zinsen voraussichtlich weiter gesenkt werden. Das volatile Kapitalmarktumfeld verlangt nach ständig angepassten Anlagestrategien. Wie reagieren Kunden auf diese Phase niedrigerer Zinsen und anhaltender Kerninflation? Passen sie ihre Asset-Managementstrategien entsprechend an?
Ja, Pensions-Anleger reagieren auf ein verändertes Zinsumfeld. Lange im Vorfeld erwartbarer Zinssenkungen hat ein erheblicher Teil der Marktteilnehmer mit steigendem Ausfinanzierungsgrad (aufgrund steigender Zinsen und damit sinkendem Verpflichtungsumfang) das spätestens seit 2023 deutlich erhöhte Zinsniveau abgesichert. IFRS-Investoren betreiben dies durch LDI-, Pensionsfonds durch CDI-Strategien, Pensionskassen schließlich durch den verstärkten Ausbau des von ihnen gehaltenen Direktbestandes. Ein größeres Abschmelzen des während der Niedrigzinsphase mühsam aufgebauten Exposures gegenüber. alternativen Anlagestrategien zu Gunsten einer Rückkehr zu (wieder rentierlicheren) traditionellen Anlageklassen ist ausgeblieben. „Alternatives are here to stay“ – Investoren haben sich an ihre Komplexität „gewöhnt“ und halten zwischenzeitlich in diesem Kontext benötigte Governance-Strukturen vor – entweder weil sie sie selbst aufgebaut oder extern zugekauft haben.
5. Mehrere Workshops und Kunden Case Studies auf der Konferenz betonten den Rekordstand der Finanzierungsgrade deutscher Versorgungswerke. In anderen Ländern nutzen Unternehmen solche Finanzierungen zum Risikoabbau, etwa durch Buy-ins oder Buy-outs. Wie sieht Ihrer Erfahrung nach die Lage dazu in Deutschland aus?
Seit dem Ende des Niedrigzinsumfelds ist in der Tat eine Ausfinanzierung bzw. Auslagerung der Pensionsverpflichtungen so günstig wie schon lange nicht mehr. So betrug der Ausfinanzierungsgrad der Pensionswerke im DAX zur Jahresmitte gemäß German Pension Finance Watch für das zweite Quartal 20ß24 fast 85% Für ein De-Risking gibt es verschiedene Möglichkeiten. Zu ihnen gehört die Bildung von Planvermögen über ein Treuhandmodell (CTA), oder auch die Übertragung der Pensionsverpflichtungen auf einen Pensionsfonds. Die Option, Versorgungsverpflichtungen mittels Abspaltung und anschließender Veräußerung einer Rentnergesellschaft an einen externen Risikoträger übertragen zu können, gewinnt an Attraktivität, denn sie erleichtert Unternehmen die Auslagerung von Pensionsverpflichtungen mit vollständig enthaftender Wirkung zu ökonomisch vertretbaren Konditionen. Hiermit hat die Rentnergesellschaft ein Alleinstellungsmerkmal. Zwar bot der Abschluss einer Liquidationsdirektversicherung auch in der Vergangenheit die Chance auf vollständige Enthaftung. Allein diese Option war auf Grund des niedrigen Garantizinsniveaus von derzeit 0,25% und wenig ausgeprägter Flexibilität der Versicherer bei der Tarifgestaltung in der Regel nicht attraktiv.
Derzeit sind Rentnergesellschaften trotz ihrer Vorteile noch nicht so verbreitet, wie in anderen Ländern. Besonders in M&A-Situationen oder bei deutschen Töchtern ausländischer Konzerngesellschaften gewinnt sie jedoch immer mehr an Bedeutung. Zudem führen die Transformation vieler Branchen, sowie der demografische Wandel immer häufiger dazu, dass sich Unternehmen die Frage stellen, ob eine Übertragung der Pensionsverpflichtungen von Rentnern und unverfallbar Ausgeschiedenen nicht besser zur Unternehmensausrichtung passt.