Fünf Fragen an…..

Hanne Borst, Head of Retirement Germany – WTW

1. Im Vortag zur Gender Pension Gap wurde deutlich, dass hier ein enormer Nachholbedarf entsteht. Das Fazit ist, jede  5. Frau ab 65 gilt als armutsgefährdet. Wie kann die Gesellschaft dem entgegen wirken? Was kann und sollte gerade in der bAV unternommen werden?

Der Gender Pension Gap wird auch als „geschlechtsspezifische Altersvorsorgelücke“ bezeichnet und beschreibt den Unterschied der Alterssicherungseinkommen von Männern und Frauen. In Deutschland beträgt dieser nach den aktuellen Angaben des statistischen Bundesamtes beachtliche 39,4%. Zu beachten ist, dass beim Gender Pension Gap die einzelne Person betrachtet wird und nicht der Haushalt als ökonomische Einheit. Rückschlüsse auf die tatsächliche Versorgungslage der Frauen lassen sich somit nicht unmittelbar ableiten.

Dennoch ist es so, dass Frauen häufig Berufe wählen, die von vorneherein geringer bezahlt werden, im Durchschnitt weniger Stunden pro Woche arbeiten und häufiger in nicht sozialversicherungs-pflichtigen (Mini-) Jobs beschäftigt sind. So gingen z. B. 2021 nach Ergebnissen des Mikrozensus 47,4 % der erwerbstätigen Frauen im Alter von 15 bis 64 Jahren einer Teilzeittätigkeit nach, aber nur 10,6 % der gleichaltrigen Männer. Zudem unterbrechen Frauen ihre Erwerbsarbeit häufiger und länger – in der Regel um sog. Care Arbeit zu übernehmen und sich insbesondere um ihre Kinder bzw. die Pflege ihrer Eltern zu kümmern.

Nach Angaben des statistischen Bundesamtes gilt somit jede 5. Frau als armutsgefährdet. Um dem entgegenzuwirken, sind gesellschaftliche Veränderungen erforderlich. Dies beginnt mit einer fairen Aufteilung der Care Arbeit zwischen den Partnern. Zudem braucht es dringend deutlich mehr zuverlässige Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Derzeit fehlen nach Aussagen der Bertelsmann Stiftung in Deutschland über 400.000 Kita-Plätze.

Auch die betriebliche Altersversorgung kann hierbei wertvolle Beiträge leisten. Vielen Frauen ist ihre schwierige Situation nicht bewusst. Durch finanzielle Bildung können Arbeitgeber Transparenz schaffen. Mit modernen digitalen Lösungen gibt es heute schon viele Möglichkeiten dazu. Zudem sollte der Gesetzgeber die Förderung von Geringverdienenden nach § 100c EStG überarbeiten. Mit dieser Förderung werden Arbeitgeber subventioniert, wenn sie ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eine arbeitgeberfinanzierte bAV gewähren. Arbeitgeber, deren Beitragszahlungen die geforderten Voraussetzungen erfüllen, erhalten einen Zuschuss in Höhe von 30% der Beitragszahlung. Seit der Einführung des § 100 EStG hat der Gesetzgeber die monatlichen Einkommensgrenzen im Jahr 2020 einmalig auf 2.575 Euro angehoben. Regelmäßige Lohn- und Gehaltssteigerungen führen dazu, dass Beschäftigte aus dem Kreis der Begünstigten herauswachsen. Um dem entgegenzuwirken und die Attraktivität der vom Arbeitgeber finanzierten betrieblichen Altersversorgung insbesondere für Geringverdienerinnen und Geringverdiener weiter zu erhöhen, sollte der Gesetzgeber die Grenze erneut anheben und künftig z.B. entsprechend einer dynamischen Sozialversicherungsgröße dynamisieren.

2. Auf der aba-Tagung hat der BVV das erste Sozialpartnermodell der Finanzwirtschaft näher vorgestellt und dieses hat die Durchführung einer reinen Beitragszusage. Ist das die Zukunft?

Das Sozialpartnermodell ist im Jahre 2018 im Rahmen des Betriebsrentenstärkungsgesetzes mit der Zielsetzung gestartet, den Verbreitungsgrad der bAV zu steigern. Vor dem Hintergrund des sinkenden Leistungsniveaus in der gesetzlichen Rentenversicherung ist der flächendecke Ausbau zusätzlicher Vorsorge für die Alterssicherung in Deutschland unerlässlich.

Ein Sozialpartnermodell bedient sich einer reinen Beitragszusage und stellt für Deutschland durchaus ein Novum dar – auch wenn eine reine Beitragszusage im internationalen Umfeld seit Jahren Standard ist. Ein SPM ermöglicht eine konsequente Kapitalmarktbindung gepaart mit einem innovativen, fondsförmigen Verrentungskonzept. Gleichzeitig ermöglicht der Wegfall der Arbeitgeberhaftung ein für deutsche Unternehmen bislang unbekanntes Maß an finanzieller Planbarkeit.

Ein SPM erfordert jedoch zwingend und dauerhaft die Beteiligung der zuständigen Tarifpartner an der Durchführung und Steuerung des Modells. Die Einführung einer reinen Beitragszusage setzt daher nicht nur die generelle Tarifgebundenheit eines Unternehmens voraus, sondern die zuständigen Tarifpartner müssen sich zunächst auf einen entsprechenden Tarifvertrag verständigen. Bisher übliche Vereinbarungen rein auf betrieblicher Ebene reichen für die Einführung einer reinen Beitragszusage nicht aus.

Aus diesen und weiteren Gründen läuft das Sozialpartnermodell derzeit eher langsam an. Wohin die Reise geht, kann man derzeit nicht abschließend sagen. Auf der Jahrestagung der aba wurden von BMAS und BMF verschiedene Nachbesserungen im Rahmen des BRSG 2 in Aussicht gestellt.

Festgehalten werden sollte jedoch, dass die klassische bAV außerhalb des SPMs eine sehr effiziente und in der langjährigen Praxis erprobte und insgesamt attraktive Möglichkeit darstellt, Altersvorsorge zu betreiben. Das wird in der Diskussion rund um das SPM leider häufig vergessen.

3. Über dieses Sozialpartnermodell mit reiner Beitragszusage rückt die Anlagepolitik per se stärker in den Fokus. Angebote haben eine deutlich Chancen-orientiertere Asset Allocation im Vergleich zu bspw. Versicherungen. Wie passt dies zum langfristigen Sicherheitsbedürfnis in der Betriebsrente? 

Betriebliche Altersversorgung ist u.a. von den folgenden beiden Merkmalen geprägt: Die Anlagehorizonte sind in der Regel lange und es ist die Absicherung von Risiken über ein Kollektiv möglich. Schwankungen in der Kapitalanlage können in einem Kollektiv deutlich besser ausgeglichen werden als in einer individuellen Anlagestrategie.

Zudem ermöglicht ein langer Anlagehorizont die Wahl einer chancenorientierteren Kapitalanlage. Durstrecken am Kapitalmarkt, wie wir z. B. 2022 gesehen haben, können durchgestanden werden.

Die Versicherungswirtschaft bietet schon seit einigen Jahren auch in der bAV im Rahmen der beitragsorientierten Leistungszusage breitflächig Tarife mit anfänglich abgesenkten Garantien an. Häufig werden anfängliche Garantieniveaus von 60-90% der Beiträge angeboten. Erreichte Überschüsse können während der Vertragslaufzeit gutgeschrieben werden und sind von da an garantiert. Auch beim Durchführungsweg Direktzusage sind sog. wertpapiergebundenen Versorgungszusagen zunehmend zu beobachten. Bei dieser Ausgestaltung hängt die Versorgungsleistung in der Regel von der Performance der Investmentfonds ab.

Eine chancenorientierte Kapitalanlage ist in der bAV somit nicht neu und stellt wegen des langfristigen Anlagehorizonts auch keinen Widerspruch zum Sicherheitsbedürfnis der Versorgungsberechtigten dar. Neu am SPM ist die wegfallende Arbeitgeberhaftung, die – ebenfalls wegen des langen Anlagehorizonts – in der Praxis auch nicht sonderlich hoch ist.

4. Mit dem  BRSG2 soll die bAV gestärkt und vor allem auch attraktiver werden. Welche Änderungen halten Sie für notwendig, damit die betriebliche Altersversorgung zukunftsfähig bleibt? 

Die betriebliche Altersversorgung ist bisher bereits attraktiv und zukunftsfähig. Rund 21 Millionen Anwartschaften und fas 700 Mrd. EUR Deckungsmittel (Statistik aba 2023) sprechen für sich. Die betriebliche Altersversorgung ist effizient und renditestark und bietet die Möglichkeiten zur Absicherung von Risiken im Kollektiv. Studien von WTW belegen regelmäßig, dass bAV zudem eine hohe Bindungswirkung auf Mitarbeitende ausübt. In Zeiten des Fachkräftemangels ist eine bAV zu einem wichtigen Differenzierungsmerkmal geworden.

Bislang ist betriebliche Altersversorgung jedoch insbesondere in größeren Unternehmen verbreitet. So haben nach dem jüngsten Forschungsbericht des BMAS 88% der Arbeitnehmer mit mehr als 1.000 Mitarbeitenden eine bAV. In kleineren Betrieben sieht die Situation etwas anders aus. Bei Betrieben unter 100 Mitarbeitenden haben nur rund 45% eine bAV.

Das BRSG 2 hat zum Ziel, den Verbreitungsgrad der bAV insbesondere bei kleinen und mittleren Unternehmen und bei Personen mit geringerem Einkommen zu erhöhen. Veränderungen wird es somit insbesondere beim Sozialpartnermodell geben.

Dies ist bedauerlich, da die traditionelle bAV z. B. durch die bestehende Förderung für Geringverdiener im Rahmen von § 100c EStG oder den in der Administration sehr einfachen Durchführungsweg Direktversicherung schon attraktive Möglichkeiten bietet. Mit einer bAV geht ein Unternehmen jedoch ein sehr langfristiges Versprechen ein. Es gibt sehr wenige Möglichkeiten, ein eingegangenes Versprechen zu verändern und beispielsweise Bestände einer Pensionskasse auf einen Pensionsfonds zu übertragen. Auch die Fördermöglichkeiten für Geringverdienende sollten dringend ausgebaut werden (siehe Frage 1). Zudem gibt es zu viele Rechtsunsicherheiten, die dringend einer Klarstellung bedürfen. Hierzu geht insbesondere der Umgang mit Garantien. Die Regeln sind hierzu bislang ungeklärt bzw. zu eng.

5. Sie sind auch Mitglied der Arbeitsgruppe Rentnergesellschaften der Versicherungsmathematischen Sachverständigen, die im Rahmen der Tagung einen Einblick in seine Arbeit gegeben hat. Wo sind beim Thema Rentnergesellschaften aus Ihrer Sicht noch die großen Fragestellungen?

Herausfordernde wirtschaftliche Rahmenbedingungen, steigende Inflationsraten und wachsende Anforderungen an die Governance führen dazu, dass Verantwortliche für das Management betrieblicher Pensionsverpflichtungen sich weiterhin intensiv mit den Möglichkeiten des „De-Riskings“ beschäftigen. Neben den am Markt bereits etablierten Möglichkeiten, wie Plangestaltung, CTAs, Rückdeckungsversicherungen oder Pensionsfonds rücken auch Gestaltungen unter dem Begriff „Rentnergesellschaft“ immer mehr in den Fokus, da damit bilanziell eine Ausbuchung der Verpflichtungen erreicht werden kann.

Die Tücken liegen hier jedoch im Detail – so beruhen die Vorgaben für die finanzielle Ausstattung einer Rentnergesellschaft auf einem BAG-Urteil aus 2008 und sind in den aktuellen rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht mehr 1:1 anwendbar. Die Fachvereinigung Mathematische Sachverständige hat deshalb die Arbeitsgruppe „Rentnergesellschaften“ gegründet. Diese beschäftigt sich unter anderem damit, welche Rechnungsgrundlagen für eine Dotierung sachgerecht sind. Bei der Ermittlung des Dotierungsbetrags und den damit verbundenen potenziellen Haftungsrisiken gibt es bei den interessierten Unternehmen derzeit noch Unsicherheiten. Mehr Klarheit in diesem Aspekt wäre wünschenswert, da eine Rentnergesellschaft insgesamt eine sehr attraktive Möglichkeit des De-Riskings darstellt und am Markt verstärkt nachgefragt wird.